Wegelagerer. Söldner. Balkan-Sheriffs. Auf ihrem letzten
schweren Gang, bevor die Waffen schweigen müssen.
Alles Mögliche könnten sie sein, diese verwegenen Gestalten in ihren
schwarzen oder erdfarben gefleckten Uniformen. Nur wie Alliierte der
westlichen Wertegemeinschaft sehen sie nicht aus.
Die Kämpfer von der UÇK, der Nationalen Befreiungsarmee, stehen in den
Bergen über Tetovo und haben Grund, stolz zu sein - darauf, die Nato als
Partner gewonnen zu haben.
Mit einem zum Kopftuch gewundenen Schal voller Koranverse abenteuerlich
kostümiert zeigt sich "Kommandant Puç" bis zur Ankunft der Nato
nahe dem UÇK-Hauptquartier in Sipkovica in Siegerpose. Es sind Männer wie
er, die das beispiellose Bubenstück bebildern: dass es einer wild zusammengewürfelten
Truppe Aufständischer gelingen konnte, zuerst die mit der Nato assoziierte
Republik Mazedonien in einen Bürgerkrieg zu ziehen und anschließend die Nato
als Schlichter und Vertragspartner zu gewinnen.
Im Zentrum von Sipkovica zähmt Kommandant Puç seinen sich aufbäumenden
Schimmel mit geflochtener Reitpeitsche und betritt das Kaffeehaus. Mit
Kalaschnikow, Funkgerät und Stablampe bewaffnet, hat der einstige
Gastarbeiter und Veteran des Kosovo-Kriegs sich im Dorf Respekt verschafft.
Jetzt plumpst er in einen Sessel und zischt durch seine Zahnlücken, dass er
dem Waffenstillstand wenig Chancen gebe: "Alles, was von Mazedoniern zu
erwarten ist, sind 120-Millimeter-Granaten."
"Im Namen Allahs für das Vaterland Krieg führen", so laute der
Auftrag, steht in arabischen Schriftzeichen auf dem Schal des Kommandanten.
Nur: für welches Vaterland? Für Mazedonien, sagt Puç - mit dem Wappen
Albaniens am Ärmel.
Die albanischen Mazedonier haben ihre Lektion gelernt. Ein lautes Ja zur
Abspaltung,
zum Anschluss an ein Großalbanien gar, das wissen sie, würde international
derzeit nicht goutiert. Noch gelten die alten jugoslawischen Binnengrenzen.
Noch gehört das vorwiegend albanisch besiedelte Kosovo, das Stammland der UÇK,
zu Jugoslawien. Noch ist nichts entschieden.
Die albanischen Mazedonier sagen leise ja zu Mazedonien in seiner jetzigen
Form. Aber sie sagen laut ja zu einem unabhängigen Kosovo. Sie behaupten, das
eine habe mit dem anderen nichts zu tun.
Kommandant Puç würde so oder so gerne weiter kämpfen. Für die
Gleichberechtigung der Albaner im Land oder ersatzweise für einen eigenen
Staat, sagt er, das wäre "auch nicht schlecht". Selbst wenn ihnen
jetzt die Waffen abgenommen würden, seien die Albaner auf ihrem eigenen
Terrain perspektivisch unschlagbar: "Unsere Heimat sind die Berge, und
unsere Leopard-Panzer sind die Pferde."
Aber es geht ja nicht nur um die Macht in den Bergdörfern. Das Problem ist
akuter noch in Skopje, der gemischt besiedelten Hauptstadt. Nachts im Bazar am
nördlichen Ufer des Vardar, beim Geruch von Hammel, Lamm und orientalischen
Gewürzen, beim Ruf des Muezzins sind Misstrauen und Anspannung beinahe mit Händen
zu greifen.
Nur getrocknet, nicht vergessen sind die Blutlachen der fünf Erschossenen
im Stadtteil Gazi Baba, im Haus des Albaners Halili. UÇK-Kämpfer seien sie
gewesen, allesamt, drei sogar aus Albanien, sagt die mazedonische Polizei.
"Musstet ihr sie deswegen hinrichten?", fragen die Albaner.
Nur beerdigt, nicht gerächt sind die zehn mazedonischen Soldaten, die auf
der Autobahn vor Tetovo in einen Hinterhalt fuhren und ihr Leben ließen. Die
Nato wird gehen, die Wunden werden bleiben.
"Die alte Balance aus Hass und Respekt ist verloren gegangen",
sagt der Politologe Arsim Zekolli aus Skopje. Wer von Sipkovica aus weiter
zwischen karg bewachsenen Felswänden Richtung Kosovo fährt, im Schatten des
alles dominierenden Tito-Gipfels, der landet schließlich in Bozovce.
1000 Einwohner, zu 100 Prozent Albaner, sechs Arbeitsplätze, der Rest lebt
von Sozialhilfe. Hütten mit Wellblechdächern, die Fäkalien fließen talwärts,
Frauen wandeln in straff verschnürten Kopftüchern und Mänteln durch die brütende
Sommerhitze.
Im Kaffeehaus sitzt ein halbes hundert Männer, angeführt vom Bürgermeister.
Alles lauscht, einer spricht - er. Dass für sein Dorf nichts getan werde.
Dass die slawischen Mazedonier nur herkämen, wenn sie Krieg anzetteln wollen.
Und dass es so nicht weitergehe. Am Ende sagt er, und die gesamte, gehorsam
schweigende Männerschar in seinem Rücken scheint sich fast körperlich unter
diesen Satz zu ducken: "Das Kosovo muss unabhängig werden."
Keine vier Kilometer Luftlinie von Bozovce entfernt, auf dem Staatsgebiet
Jugoslawiens, direkt an der Grenze zu Mazedonien, steht Leutnant Andreas
Raupach. Er ist Mitglied der deutschen Kosovo-Schutztruppe, die hier oben, auf
bis zu 2400 Meter Höhe im Sar-Planina-Gebirge, die Maßstäbe der
zivilisierten Welt verteidigen soll.
Aber das Sar-Planina-Gebirge ist das Revier der Skipetaren, der stolzen
albanischen Adlersöhne. Und die Burschen, die hier, Pferde durchs Gebirge
treibend, aufgegriffen werden, am Pass zwischen dem Kodra- und dem
Skarpa-Gipfel, behaupten, mit der UÇK nichts zu tun zu haben. Sofern sie
nicht zufällig noch Uniform und Waffen tragen.
In löchrigem Gastarbeiter-Schwyzerdütsch erläutern sie den um die
Wahrheit redlich bemühten Bundeswehrsoldaten ihr Flüchtlingsschicksal:
"Familie drüben im Kosovo, weischt"; "Krieg is' g'fährlich,
weischt, müss'mer bizzi warten".
Als Flüchtlinge dürfen sie die grüne Grenze passieren, als Kämpfer
nicht. Jeder Fall muss einzeln geprüft werden. Woher sollen die deutschen
Soldaten am Berg wissen, wer hier Dreck am Stecken hat? Sie haben keinen
Dolmetscher und keinen, der ihnen die häufig kyrillisch beschrifteten
Reisedokumente übersetzt. Sie müssen den zaunlattendürren Burschen mit den
wilden Augen glauben oder nicht.
Einer der festgenommenen Albaner sagt, er habe sich leider beim
Heidelbeersuchen verlaufen. Und lacht dabei so dreist, als wisse er, was auch
die Kfor-Soldaten wissen - dass spätestens am amerikanischen Stützpunkt Camp
Bondsteel, wohin Verdächtige nach der Vernehmung in Prizren transportiert
werden, so ziemlich jeder wieder freikommt.
Zu sehr hat sich der Westen unter Führung der USA im Kosovo-Krieg der
Rebellenarmee UÇK verschrieben, die gegen Slobodan Milosevics Terrorregime
antrat, als dass er jetzt einfach davon abrücken könnte - die Kriegshelden
sitzen, nach der Auflösung der UÇK, in allen maßgeblichen Gremien. Und
fordern ihre Dividende, die Unabhängigkeit des Kosovo.
Von Bozovce in Mazedonien nach Dragas in Jugoslawien, Provinz Kosovo, sind
es Luftlinie rund 15 Kilometer, ein Katzensprung zu Fuß, von Albaner zu
Albaner. Mit dem Auto, über den offiziellen Grenzübergang Jazince, dauert es
Stunden.
Zwei räudige Hunde dösen im Schatten, ein Baby plärrt, im ausgedörrten
Niemandsland grasen Pferde. Hier müsste Restjugoslawien beginnen. Über dem
Schlagbaum aber wehen die Fahnen der Uno und Polens. Polen hat gerade Dienst
im Protektorat Kosovo. Deutsche Grenzpolizei kontrolliert, ein Bulgare in
Uniform
will Autoversicherungen verkaufen. Willkommen im Chaos. Kosovo 2001.
Nicht das geringste Zeichen jugoslawischer Staatlichkeit ist geblieben. Nur
vereinzelt, wie in der Enklave rund um Strpce, leben noch Serben, bewacht von
Uno-Soldaten, auf jenem Boden, der einmal Altserbien genannt wurde und mit
seinen mittelalterlichen Klöstern als Wiege der serbischen Kultur gilt.
Durch Dragas, wo die schmalste Stelle im Dreiländer-Eck
Albanien-Jugoslawien-Mazedonien eine bevorzugte Schmugglerroute markiert,
fahren Autos mit Aufklebern, auf denen Großalbanien skizziert ist - mit der
Inschrift "Kosovo". Und einer von denen, die wissen müssten, wie
das gemeint ist, sitzt in der Stadtverwaltung.
Avni Nebiu ist ein rabenschwarzhaariger Mann im Streifenhemd mit dem
verschlagenen Gesicht des balkanischen Altkaders. Er gilt als einer der
Drahtzieher des UÇK-Netzwerks im Süden des Kosovo. Er war im Krieg gegen die
Serben UÇK-Kämpfer und hat, so sagt er, "dem Generalstab in Albanien
berichtet".
Nebiu ist heute Generalsekretär der örtlichen PDK, der Partei des Ex-UÇK-Chefs
Hashim Thaçi. Geld verdient er offiziell als "Referent für
Wirtschaft" - in einer Stadt, in der es so gut wie keine Wirtschaft mehr
gibt, nur westliche Hilfe. Nebiu, Codename "das Gelenk", ist in
Wahrheit Verbindungsmann der alten Kriegshelden zu den Geldströmen im Süden
des Landes.
Sein Spezi Ruzhdi Saramati, Kommandeur beim Zivilschutz TMK, dem neben der
Polizei wichtigsten UÇK-Auffangbecken, ist im Juli als "Gefahr für die
öffentliche Sicherheit" zum wiederholten Mal verhaftet worden.
Mazedoniens UÇK-Generalstabschef Gezim Ostremi war noch bis März Chef der
Kosovo-TMK.
In Dragas kursieren neuerdings Flugblätter, mit denen Schutzgelder
erpresst werden - signiert mit dem Kürzel "Freunde der TMK". An die
20 Bombenanschläge und mehrere Tote hat es seit 1999 allein im Zentrum von
Dragas gegeben, in Sichtweite des türkischen Uno-Stützpunkts. Die Urheber
werden von internationalen Beobachtern im Lager Avni Nebius vermutet.
"Alles was diese Leute interessiert, ist an Geld zu kommen. Es geht um
Korruption, um Machterhalt. In Mazedonien wird das demnächst genauso
werden", sagt ein erfahrener Helfer in Dragas über die alten UÇK-Kämpen.
Diplomaten, NGOs, Aufklärer der deutschen Bundeswehr - alle sind in Dragas.
Alle wissen Bescheid. Aber sollen sie wirklich in die Heimat berichten, dass
man mit der UÇK aufs falsche Pferd gesetzt hat?
Avni Nebiu jedenfalls, jugoslawischer Altkommunist, später Strippenzieher
der UÇK, heute "das Gelenk" im wilden Süden des Uno-Protektorats
Kosovo, schaut siegessicher in die Zukunft: "Zum ersten Mal träumen wir
von einem unabhängigen Staat. Die Welt wird zustimmen."
An der Grenze zu Jugoslawien, gut zehn Kilometer von Dragas entfernt, steht
Dülejman Nela, der Bürgermeister des albanischen Grenzorts Shishtavec. 51
Jahre lang, von 1948 bis 1999, war diese Grenze dicht. Die längste Zeit davon
trennte sie das stalinistische Reich Enver Hodschas vom sozialistischen des
Blockfreien Tito.
Der Bürgermeister von Hodschas alter Frontzitadelle sieht jetzt hinaus auf
die Hausmauern seines Dorfs, auf denen unverändert steht: "Der siebente
Fünf-Jahres-Plan ist das Werk der Massen." Dann sagt er: "Natürlich
haben wir der UÇK geholfen. Ich bewundere, was sie im Kosovo und in
Mazedonien getan hat. Sie kämpft für die Rechte der Albaner."
Der Weg von Shishtavec in die Bezirkshauptstadt Kukës zeigt Albanien im
Sommer 2001. In den Bergen: Menschen, die mit Holzknüppeln auf geerntete Ähren
eindreschen und mit schwer beladenen Pferden ihre magere Ernte einfahren. Am
Rand der Stadt: die Reste einer Kupferverarbeitungsfabrik,
surreales Steingerippe, vor dem riesige Metallrohre verrosten, hingestreckt
wie verrenkte Elefantenglieder.
Das alte Schleuser- und Schmugglerparadies Kukës ist Europas Klein-Bombay.
Zwischen qualmenden Müllhalden spielen Kinder, aus Abfallcontainern fressen
magere Kühe, Krähen umschwirren abgehärmte Menschen, die sich ducken, wenn
die böig einfallenden Sandstürme ihnen den eigenen Unrat um die Ohren
blasen.
In einem abgeschirmten Kaffeehaus-Garten beim Markt sitzt unter
Trauerweiden und Nussbäumen "Kommandant Vjosa" beim Whisky-Frühstück.
Vjosa ist nach eigenen Angaben Oberbefehlshaber der 116. Brigade der
mazedonischen UÇK, mit 480 Männern unter Waffen. Sie hatten bis zuletzt die
Aufgabe, im Ernstfall das mazedonische Gostivar einzunehmen. Der Kommandant
sagt, er habe vor wenigen Tagen seine Waffen in Mazedonien zurückgelassen:
"Es ist allerdings auch nicht schwer, neue zu bekommen."
Vjosa ist seit dem Tod seines Vorgängers Dardan Iliria im Abschnitt Süd
Mitglied des Generalstabs der mazedonischen UÇK. Dass er sich dazu bekennt,
zeigt wie sicher sich die Männer mit dem großalbanischen Adler ihrer Sache
inzwischen sind. Trotz der Tatsache, dass die offizielle Linie der Regierung
in Tirana das Prinzip striktester Nicht-Einmischung ist.
Vjosa ist unter dem größenwahnsinnigen Diktator Hodscha Offizier
geworden. Seit 1979 KP-Mitglied, ausgebildet an den Militärschulen Tiranas,
jahrzehntelang im Dienst der albanischen Armee, hat er dann eine Volte
geschlagen.
1992 von der neuen, "demokratischen" Heeresführung in Tirana mit
100 Mark Pension monatlich in den Ruhestand verabschiedet, fand Vjosa nach dem
Beginn der jugoslawischen Erbfolgekriege neue Aufgaben. Er war ab 1999 als
militärischer Berater im Kosovo-Krieg tätig. Er siedelte dann über ins
Presevo-Tal in Südserbien, wo sich albanische Freischärler gegen die
jugoslawische Staatsmacht erhoben.
Als Sprecher der Presevo-Rebellen, sagt er, habe er an den Dienstagstreffen
mit deutschen Kfor-Offizieren in Pristina teilgenommen. "Stellen Sie sich
vor, ihr Land wäre zerstückelt und hätte fünf Hauptstädte - was würden
Sie tun?", habe er sie gefragt: "Sie haben mich umarmt und gemeint,
sie würden so handeln wie wir."
Ein zerstückeltes Land mit fünf Hauptstädten? Neben den Albanergebieten
im Kosovo, in Mazedonien und Südserbien werfen Albaner wie Kommandant Vjosa längst
auch ein Auge auf andere Länder. UÇK-Propagandisten, die in den
montenegrinischen Albanerhochburgen Plav und Gusinje Unterstützer rekrutieren
wollten, sind verbürgt. Eine weitere Lunte glimmt im Nordwesten
Griechenlands: Die Gegend um Ioánnina haben die Albaner bis 1820 gegen den türkischen
Sultan behauptet.
"Albaner in Mazedonien, Kosovo, Serbien, Albanien, Griechenland oder
Montenegro, das ist Brot von der gleichen Hefe", sagt der Dichter Rexhep
Shahu in Kukës. "Die Religion des Albaners ist das Albanertum", hat
der Dichter Pashko Vaso im vorletzten Jahrhundert geschrieben über seine in
Muslime, Katholiken, Orthodoxe und Atheisten zersplitterte Nation.
Kommandant Vjosa sagt, dass im Kosovo und im Presevo-Tal die patriotischen
Ziele längst nicht erreicht seien. "Wenn ich gebraucht werde, gehe ich
überall hin. Auch nach Montenegro."
Und dann fährt der langgediente Berufssoldat noch einmal hinaus zum Gelände
der verfallenen Kaserne von Kukës, wo er als junger Offizier im Stalinismus
diente. Im Abendlicht glänzt der Stausee, für den sie das historische Kukës
geflutet haben. Der Kommandant geht in Stellung und zieht seine Uniform an. Es
ist jetzt die mit dem Adler und der Inschrift UÇK.
"Laut Gesetz ist das verboten in Albanien - UÇK", sagt er und
lacht. Doch wen kümmert das? Ein Gesetz. In Albanien.